Das Corona-Virus bringt unser Leben gerade durcheinander. Viele Firmen haben ihre Mitarbeiter ins Home-Office geschickt, um nur ein Beispiel zu nennen. Nach einigen Wochen beobachte ich nun, dass einige Mitarbeiter laut darüber klagen, andere jedoch feststellen, dass sie konzentrierter arbeiten können. Das wundert mich nicht, denn es gibt extravertierte und introvertierte Menschen und solche, die zwischen den beiden Extremen liegen. Diese Tage sind eine passende Gelengenheit, unser Hobby Astronomie aus introvertierter Perspektive zu betrachten.
Bevor wir jedoch dazu kommen, möchte ich einen Schlenker über die Musik machen.
Ich spiele Gitarre und schreibe dort Musik selbst (Hörbeispiele: “Sounds familiar“, “Leinen los“, “In Perseus Armen“). Musizieren ist seit Kindesbeinen fester Bestandteil meines Lebens, angefangen bei Blockflöte ging es über die E-Orgel zur Gitarre.
Sobald ich in einem Gespräch erzähle, dass ich Gitarre spiele, kommt die Frage: “spielst Du in einer Band?”.
Ich finde es interessant, dass sich so wenige Gesprächspartner vorstellen können, dass Musizieren für sich als Einzelmusiker und ohne Publikum einen hohen Wert haben kann. Ja, ich kenne das Gefühl, mit anderen zu Musizieren und ja, es ist toll, ein Publikum zu begeistern. Habe ich alles schon erlebt. Aber für mich reicht es auch, einfach mit der Gitarre dazusitzen und zu spielen. Das erfüllt mich.
Das sind eindeutig Anzeichen von Introversion.
Zumindest, wenn ich die Aussagen in dem absolut lesenswerten Buch “Still – die Kraft der Introvertierten” von Susan Cain zum Maßstab nehme. Es gibt einen sehr guten und empfehlenswerten Podcast über dieses Buch von Alexandra Tobor.
Und jetzt komme ich zur Astronomie.
Dieses Hobby ist ein Traum für mich. In der Astronomie kann ich Züge der Introversion genauso ausleben wie die der Extraversion.
- Extraversion:
Vorträge halten, Öffentlichkeitsarbeit mit Beobachtungsaktionen, Vereinsarbeit, Tagungen und Treffen - Introversion:
nachts am Teleskop im Feld oder in der Sternwarte, Vor- und Nachbereitung der Beobachtungen.
Introvertierte Menschen brauchen die Stille, um ihren “inneren Akku” wieder aufzuladen. Und hier bietet die Astronomie, gerade das Beobachten mit dem Teleskop, genau das, was gefragt ist. Das Titelbild dieses Beitrags veranschaulicht den Ladeprozess.
Den inneren Akku aufladen
Ein gutes Beispiel ist die Beobachtung lichtschwacher Objekte, die außerhalb der Grenzen des Sonnensystems liegen. Solche Objekte sind beispielsweise diffuse Nebel, planetarische Nebel oder ferne Galaxien. Sie sind am Teleskop für den visuellen Beobachtung immer wieder eine Herausforderung. Nicht immer ist das Objekt auf Anhieb sichtbar. Ein Beispiel ist meine Suche nach PK 25-4.1, der mir auf einem Foto aufgefallen war. Mehrmals bin ich visuell daran gescheitert, dann hatte ich Erfolg. Für diese Beobachtung befasse ich mich lange und konzentriert mit dem Zielgebiet am Himmel. Eine halbe Stunde der Beobachtung geht schnell vorbei. Und obwohl ich hochkonzentriert bin ist diese Zeit für mich in höchstem Maße entspannend. Als introvertierter Mensch ist das die gewünschte Erholung. Eine extravertierte Person würde sich vielleicht sehr langweilen.
Die Extraversion üben
Im Alltag sind extravertierte Verhaltensweisen gefragt. Ob sie überzogen betont sind oder nicht, sei mal dahingestellt. Aber sie gehören dazu. In der Astronomie können diese Verhaltensweisen geübt werden, beispielsweise durch Vereinsarbeit und Öffentlichkeitsarbeit, die auch ohne Verein möglich ist. Man muss nicht gleich vor 500 Leute treten und frei sprechen – wobei das oft leichter ist als vor fünf Menschen zu treten, zu denen man eine enge persönliche Beziehung hat. Die Chance ist, die persönliche Komfortzone nach und nach in Richtung Extraversion zu erweitern. Und das fällt leicht, weil das zugrunde liegende Thema eines mit großer persönlicher Bedeutung ist. Und weil immer wieder der Raum zum Aufladen des Akkus vorhanden ist.
Meine Reise in die Extraversion begann mit einer Präsentation des Hobbys Astronomie auf einer Hobbyschau. Sie führte mich in Radio und Fernsehen und auf Bühnen vor hunderten Menschen. Dieser Weg fühlte sich überraschend einfach, natürlich und ungezwungen an. Meine Komfortzone wuchs auf dieser Reise, wie man sieht. Nicht jeder muss einen solchen Weg gehen, das ist klar. Er soll als ermutigendes Beispiel dienen, keineswegs als Verpflichtung.
Angenehm war in dieser Reise auch, immer wieder Menschen zu begegnen, die ebenso wie ich eher dem introvertierten Lager zugeordnet werden können. Schnell gibt es zu solchen Menschen ein Grundverständnis füreinander.
Das wirft auch die Frage auf: ist es ein Hobby, das mehrheitlich von introvertierten Menschen betrieben wird? Hierzu müsste man eine Statistik erheben. Meine Eindruck ist ein anderer: wie im sonstigen Leben finden sich unter den Hobbyastronomen alle Ausprägungen von Extra- bis Introversion.
Mein Fazit
Astronomie ist kein strikt introvertiertes Hobby. Es bietet introvertierten Menschen jedoch viele Gelegenheiten, Energie zu tanken. Darüber hinaus bietet es die Möglichkeit, sich in extravertiertem Verhalten zu üben.